A8: Aufgabenklärung PdV

Handreichung mit Empfehlungen zum Grad der Einflussnahme und Diskussionsspielraum des PdV

Einführung

Ziel des KIDD-Prozesses ist es, Unternehmen und ihre Beschäftige zu befähigen, die Ausgestaltung von KI-Anwendungen und algorithmischen Entscheidungssystemen (AES) partizipativ mitzugestalten und die Akteure in die Lage zu versetzen, sicherzustellen, dass im Betrieb neu eingeführte bzw. entwickelte Software-Anwendungen gemeinsam ausgehandelter Anforderungen in Bezug auf Ethik und Diversität entsprechen. Der KIDD-Prozess beruht dabei auf der Grundüberzeugung, dass die Nutzer:innen und Betroffenen einer Software-Anwendung bei der Ausgestaltung des digitalen Systems umfänglich einzubinden sind.

Diese Einbindung wird im KIDD-Prozess durch die Einrichtung und Arbeit des Panels der Vielfalt ermöglicht, das in seiner Zusammensetzung ein möglichst breites Spektrum an relevanten Stakeholdern und eine diverse Gruppe an Mitarbeitenden abbildet und frühzeitig und kontinuierlich im Softwareentwicklungs- bzw. Einführungsprozess beteiligt wird. Im Rahmen des KIDD-Prozesses ist dieses Gremium insbesondere bei einer ethischen und diversitätsbezogenen Folgenabschätzung, der Formulierung bzw. Klärung von ethischen und diversitätsbezogenen Anforderungen an die Software sowie bei Ansprachen zum Monitoring der Umsetzung der entsprechenden Anforderungen im Entwicklungs- bzw. Anpassungsprozess eingebunden.

Für die erfolgreiche Planung und Durchführung des KIDD-Prozesses ist die frühzeitige Klärung des Grades der Einflussnahme sowie des konkreten Diskussionsspielraums des Panels der Vielfalt von hoher Bedeutung. Es sind die folgenden Fragen zu klären:

  • Welchen Grad der Einflussnahme soll das PdV auf Entscheidungen bei der Entwicklung bzw. Einführung einer Software ausüben dürfen? D.h. wieviel Entscheidungsmacht hat das PdV?

  • Welche Fragestellungen und Themen sollen vom PdV diskutiert werden können?

Durch die frühzeitige Klärung und Kommunikation des Grades der Einflussnahme und des konkreten Diskussionsspielraums wird sichergestellt, dass alle beteiligten Akteur:innen möglichst deckungsgleiche Erwartungshaltungen an den KIDD-Prozess haben und Missverständnisse vermieden werden können.

Grad der Einflussnahme

Die Frage, mit wie viel Entscheidungsmacht ein Panel der Vielfalt ausgestattet sein soll, hängt von einer Vielzahl an unternehmens- und anwendungsspezifischen Faktoren ab und ist nicht im Abstrakten zu beantworten. Im Allgemeinen werden im Rahmen des KIDD-Prozesses jedoch eine Mindestanforderung sowie eine weiterführende Empfehlung an den Grad der Einflussnahme des PdV gestellt.

Im Bereich der Beteiligung von Bürger:innen und Bürgern kann zwischen fünf Ebenen der Partizipation unterschieden werden, die mit einem zunehmenden Grad der Einflussnahme verbunden sind [].

  1. Informieren: Wir halten Sie auf dem Laufenden.

  2. Konsultieren: Wir halten Sie auf dem Laufenden, hören Ihnen zu, anerkennen Ihre Anliegen und Erwartungen, und teilen Ihnen mit, wie Ihre Anregungen die Entscheidungen beeinflusst hat.

  3. Einbeziehen: Wir arbeiten mit Ihnen, um sicherzustellen, dass Ihre Anliegen und Wünsche direkt in die entwickelten Alternativen einbezogen werden und geben Ihnen Rechenschaft darüber, wie Ihre Anregungen die Entscheidungen beeinflusst hat.

  4. Kooperieren: Wir suchen Ihren Rat und Kreativität bei Formulierung von Lösungen und integrieren Ihre Ratschläge und Empfehlungen (so weit wie möglich) in die Entscheidungen.

  5. Ermächtigen: Wir setzen das um, was Sie entschieden haben.

Mindestanforderung: Einbeziehen

Diesen Ebenen der Partizipation folgend, ist im KIDD-Prozess das PdV mindestens entsprechend der Ebene 3 zu beteiligen. Im Konkreten bedeutet dies:

Das PdV muss bei der Einführung und Entwicklung einer Software-Anwendung mindestens umfassend einbezogen werden.

Es muss sichergestellt werden, dass die vom PdV genannten Anliegen und Anforderungen im Rahmen aller im KIDD-Prozess spezifizierten partizipativen Schritte konsequent verstanden und berücksichtigt werden. Bei der Beteiligung des PdV handelt es sich nicht um einen einmaligen Vorgang, sondern um einen kontinuierlichen Prozess der partizipativen Ausgestaltung der Software-Anwendung in den Phasen der Folgenabschätzung, allgemeinen und spezifischen Anforderungsklärung, Testfall-Definition und der Klärung von Absprachen zum Monitoring.

Im Laufe des KIDD-Prozesses erhält das PdV Rückmeldung, wie die Anregungen die Auswahl, Entwicklung oder Anpassung der Software beeinflusst haben (siehe KIDD-Prozessschritt: Unternehmensinterne Transparenzherstellung). Sofern Anforderungen des PdV nicht umgesetzt werden, müssen die Gründe für diese Entscheidung dargelegt werden.

Die Beteiligung des PdV geht dementsprechend über eine Konsultation bzw. eine einfache Anhörung des Gremiums hinaus. Ebenso ist sie von einer singulären Nutzer:innenbefragung bzw. einem ‚User Testing‘, wie sie häufig in der Software-Entwicklung zur Anwendung kommen, zu unterscheiden.

Obwohl Anregungen des PdV umfassend berücksichtigt werden müssen, liegt die finale Entscheidungskompetenz im Rahmen dieser Beteiligungsebene bei den unternehmensinternen Entscheidungsträger:innen (z. B. Management, Projektleitung). Besteht ein Betriebsrat im Unternehmen, ist darauf zu achten, dass dieser bei der Einführung neuer IT-Systeme über umfassende gesetzlich festgeschriebene Mitbestimmungsrechte verfügt (vgl. § 87 I Nr. 6 BetrVG). Konsense zwischen dem PdV und der Unternehmensleitung sind dementsprechend mitbestimmungspflichtig. Der Betriebsrat sollte vor diesem Hintergrund frühzeitig im KIDD-Prozess eingebunden werden und idealerweise direkt im Panel der Vielfalt vertreten sein.

Empfohlen: Kooperieren

Darüber hinaus wird es im KIDD-Prozess stark empfohlen, das PdV nicht nur einzubeziehen, sondern mit dem Gremium umfassend zu kooperieren und Mitbestimmung zuzulassen (Ebene 4).

Dies impliziert, dass ein Teil der Entscheidungsmacht an das PdV abgegeben wird und ein Dialog auf Augenhöhe zwischen dem Gremium, den unternehmensinternen Entscheidungsträger:innen und den Software-Entwickelnden stattfindet. Die Empfehlungen und Anregungen des PdV sollten in diesem Sinne so weit wie möglich umgesetzt werden. Sofern Anregungen aus bestimmten Gründen nicht implementiert werden können, werden gemeinsam mit dem Gremium alternative Lösungsansätze entwickelt. Es wird dabei ein Konsens zwischen dem PdV und den unternehmensinternen Entscheidungsträger:innen angestrebt. Besteht ein Betriebsrat im Unternehmen, ist, wie oben ausgeführt, auch bei dieser Art der Beteiligung des PdV darauf zu achten, dass der Betriebsrat bei der Einführung neuer IT-Systeme über umfassende gesetzlich festgeschriebene Mitbestimmungsrechte verfügt (vgl. § 87 I Nr. 6 BetrVG) und Entscheidungen zwischen dem PdV und der Unternehmensleitung mitbestimmungspflichtig sind. Auch in diesem Szenario muss der Betriebsrat vor diesem Hintergrund frühzeitig im KIDD-Prozess eingebunden werden und sollte idealerweise direkt im Panel der Vielfalt vertreten sein.

Diskussionsspielraum

Neben der Frage nach dem Grad der Einflussnahme muss auch die Frage nach dem Diskussionsspielraum frühzeitig geklärt werden. Hierbei geht es um die Frage, welche Aspekte das Panel der Vielfalt überhaupt diskutieren soll und darf.

Im Allgemeinen ist darauf zu achten, dass der Fokus der Diskussionen mit dem PdV auf ethischen und diversitätssensiblen Fragestellungen liegen sollte. Aushandlungen über die rein technische Ausgestaltung einer Software (Usability) sind im Rahmen des KIDD-Prozesses durchaus möglich, aber sollten sich nicht auf diesen Aspekt beschränken.

In der Praxis hat sich gezeigt, dass im Verlaufe des KIDD-Prozesses häufig zwei unterschiedliche Arten der Fragen und Anregungen mit Bezug zu Ethik und Diversität vom Panel der Vielfalt diskutiert werden.

Softwarebezogene und technische Fragestellungen:

Auf der einen Seite befasst sich das Panel der Vielfalt mit softwarebezogenen und technischen Fragestellungen wie zum Beispiel:

  • „Sind die Daten vollständig genug vorhanden, damit die Softwareanwendung funktioniert?“

  • „Wie kann sichergestellt werden, dass eine HR-Software, die die Qualifikation von Mitarbeitenden erfassen soll, diese Qualifikationen umfassend abbildet und korrekt bewertet?

Organisationale und strategische Fragestellungen

Auf der anderen Seite kommen im Panel der Vielfalt auch häufig Fragen organisationaler oder strategischer Natur auf, die mit der technischen Ausgestaltung der Software-Anwendung nichts oder nur wenig zu tun haben. Solche Fragen können grundlegender Art sein:

  • „Brauchen oder wollen wir überhaupt solch eine Anwendung in unserem Unternehmen?“

  • „Entspricht solch eine Anwendung unseren unternehmensinternen Wertevorstellungen?“

Die Fragen können aber auch recht spezifisch sein, wie zum Beispiel die folgenden Fragstellungen verdeutlichen, die von einem PdV bei der Einführung einer Buddy-Matching-Software, die Neueinsteigende im Unternehmen und Mentor:innen (Buddys) automatisch zusammenbringt, diskutiert wurden:

  • „Wer darf als Mentor:in am Programm teilnehmen?“

  • „Sollte es eine (finanzielle) Incentivierung für Mitarbeitende geben, am Mentor:innenprogramm teilzunehmen?“

Im Rahmen des KIDD-Prozesses wird empfohlen, neben der Diskussion der technischen Fragen und Anforderungen auch den strategischen und organisationalen Aspekten Raum zu geben und diese nicht a priori auszuklammern.

Häufig sind die kritischen ethischen oder diversitätsbezogenen Fragestellungen bezüglich der Ausgestaltung einer Software-Anwendung gerade strategisch-organisationaler Natur und sollten insbesondere in den Schritten der Folgenabschätzung und allgemeinen Anforderungsklärung zur Sprache kommen dürfen. Wie im KIDD-Prozess ausgeführt, sollten diese Punkte im Nachgang dieser beiden Schritte im Austausch mit der Managementebene geklärt werden.

Sollte es von Unternehmensseite bereits im Vorhinein Themen geben, die unter keinen Umständen partizipativ verhandelbar sind, sollten diese dem PdV gegenüber klar kommuniziert werden.

Literatur

[1] IAP2 (International Association for Public Participation), (2018), Spectrum of Public Participation. (Link, 01.06.2023) ↑

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